Originalmusik zu "Sumurun" wiederentdeckt: Interview mit Burkhard Götze

Für den aufwändigen Ausstattungsfilm "Sumurun" (D 1920) von Ernst Lubitsch schuf seinerzeit der Komponist Victor Hollaender die Originalmusik.

Lange Zeit galt die Komposition als verschollen. Nun hat Burkhard Götze, Dirigent und künstlerischer Leiter des Metropolis Orchester Berlin, die Musik zum Stummfilmklassiker wiederentdeckt. Stummfilm Magazin sprach mit ihm über seinen spannenden Fund.

Wie kam es zur Entdeckung der Originalmusik?

Nachdem ich "Sumurun" bei den UFA-Filmnächten 2018 das erste Mal auf großer Leinwand sah, war ich von diesem Film so hingerissen, dass ich mich intensiv mit der Entstehungsgeschichte beschäftigte. Die Musik von Hollaender zu finden, war natürlich für mich als Stummfilmmusiker der Hauptantrieb. Was ich in Archiven recherchieren konnte waren aber nur Beschreibungen und wenig hilfreiche Bruchstücke der Musik zur gleichnamigen Pantomime von Friedrich Freska aus dem Jahr 1910, die dem Film ja zugrunde liegt und zu der Hollaender ebenfalls die Musik geschrieben hatte.

So entstand zunächst die Idee, aus dieser Pantomimen-Musik, die nur als Klavierauszug überliefert ist, eine neue Filmmusik zu schreiben, was dann reine Spekulation gewesen wäre. Mit einer befreundeten Stummfilmmusikerin sprach ich dann über meine Suche, und sie erzählte mir, dass ein älterer Herr ihr nach einer Stummfilmaufführung von "Sumurun" Noten zugesteckt hatte. Sie konnte mir aber nichts Genaueres sagen. Nach der Sichtung stellte ich begeistert fest, dass es sich tatsächlich um den Originalklavierauszug des Lubitsch-Films handelte. Erschienen mit der Seriennummer 1 im damals wohl neu gegründeten Musikverlag der UFA.

Was können Sie uns über die Komposition von Victor Hollaender berichten? Wie hat er den Film musikalisch interpretiert?

Hollaender war neben Paul Lincke und Walter Kollo ja ein wichtiger Vertreter der Berliner Operette und damals ein regelrechter Star. Sein melodischer Erfindungsreichtum zieht sich durch die gesamte Partitur. Die Themen sind, natürlich dem damaligen Zeitgeist entsprechend, oft mit klischeehaften Orientalismen wie phrygische Modi und dergleichen gestaltet. Er arbeitete ganz klassisch mit Leitmotiven für die Protagonisten des Films, jedoch großflächiger als man das von späteren Stummfilmmusiken kennt. Besonders reizvoll sind natürlich Pola Negris Tanzszenen und überhaupt ist die Musik wunderschön und entdeckenswert.

Welche Herausforderungen birgt das originale Notenmaterial? Welche Arbeiten sind notwendig, um die Musik mit dem Film wieder synchron und in neuer Pracht aufzuführen?

Der Klavierauszug ist vermutlich für den praktischen Gebrauch in Kinos konzipiert worden, denn er enthält so gut wie keine Instrumentationsangaben. Auch finden sich in ihm Spuren des praktischen Gebrauchs wie Fingersätze und andere Eintragungen. Das bedeutet natürlich, dass, solange keine weiteren Quellen auftauchen, man ganz neu instrumentieren muss. Ich werde mich dabei an die Methoden des späten 19. Jahrhunderts halten und die verfügbaren Quellen von Hollaender zu Rate ziehen.

Die Synchronisierung birgt etwas größere Schwierigkeiten als bei anderen Stummfilmmusiken, denn die Synchronangaben in den Noten sind sehr spärlich und quasi nur an Schlüsselszenen vorhanden. Interessant dabei ist, dass Hollaender für die Synchronangaben oft nicht die Namen der Filmfiguren benutzt, sondern die Namen der Schauspieler. Da die Musik aber in sehr klare Abschnitte aufgeteilt ist, die den jeweiligen Szenen entsprechen dürften, kann man sich schon einigermaßen orientieren. Die heutige digitale Technik wird bei der Synchronisierung sehr hilfreich sein.

Gibt es schon einen Zeitplan? Bis wann kann man mit einer offiziellen Veröffentlichung der Musikrekonstruktion rechnen?

Das hängt von vielen Faktoren ab. Meine Idealvorstellung ist es, eine neue Filmrestaurierung von "Sumurun" auf den Weg zu bringen, bei der die vorliegende Musik den Fahrplan vorgibt. Doch dazu sind natürlich viele Voraussetzungen, etwa die Finanzierung, zu bedenken. Eine Zusammenarbeit der Friedrich-Wilhem-Murnau-Stiftung, die den Film 2015 digitalisierte, und dem Filmmuseum München, das die letzte Restaurierung durchführte, wäre hier anstrebenswert. Ansonsten muss man versuchen, die Musik auf die vorliegende Filmfassung zuzuschneiden, was sehr schade wäre. Ein schönes Ziel für die Premiere von rekonstruierter Musik und Film wäre der 130. Geburtstag von Ernst Lubitsch im Januar 2022. Die Partitur wird im Musikverlag Ries & Erler erscheinen.

Als Dirigent waren Sie in die vielbeachtete Uraufführung der originalen "Golem"-Musik von 1920 involviert. Helfen Ihnen die dort gemachten Erfahrungen bei der jetzigen Rekonstruktion von "Sumurun"?

Die musikalische Leitung der Uraufführung von Landsbergers "Golem"-Musik, die Richard Siedhoff so großartig rekonstruiert hat, war eine intensive und einzigartige Erfahrung. Hilfreich beim "Sumurun"-Projekt ist sie vor allem unter historischen Gesichtspunkten. Denn beide Filme hatten 1920 ja kurz hintereinander Premiere im Berliner UFA Palast am Zoo, wo dann auch beide Musiken vom UFA-Sinfonieorchester uraufgeführt wurden. Beides waren Sensationsfilme, die mit Originalmusik präsentiert wurden. Jedoch haben beide Komponisten, Hollaender und Landsberger, grundverschiedene Herangehendweisen bei ihrer Komposition von Filmmusik. Sie lieferten sich darüber im Herbst 1920 in der Zeitung "8 Uhr Abendblatt" sogar einen kleinen Diskurs (1). Während Hollaender nicht an die Machbarkeit der Vertonung von Momenten und Situationen glaubt, versucht Landsberger bravourös mit seiner "Golem"-Musik genau das, und wird so wegweisend für die Entwicklung der Filmmusik. Hollaender geht anders vor und unterlegt die Szenen des Films eher atmosphärisch, ist aber in allen wichtigen Situationen präsent. Das hat einen anderen, aber nicht unbedingt einen weniger eindrucksvollen Effekt. Beide Filme und beide Musiken waren seinerzeit ein riesiger Erfolg und es wäre großartig, sie wieder nebeneinander in ihrer Ursprungform anschauen zu können.

Vielen Dank für die spannenden Einblicke und weiterhin viel Erfolg für Ihre Arbeit!
Das Interview führte Frank Hoyer.

(1) Nachzulesen bei Werner Sudendorff: 
Victor Hollaender: "Noch einmal: Musik und Film" (1920); Alte Filme (wernersudendorf.de) 
Hans Landsberger: "Verfilmte Musik oder musikalischer Film" (1920); Alte Filme (wernersudendorf.de)

Linktipps:
Burkhard Götze 
Metropolis Orchester Berlin 
Sumurun bei "100 Jahre Stummfilm-Klassiker der Weimarer Republik” 
Sumurun bei Wikipedia 
Sumurun bei Filmportal

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Pressemitteilung vom 05.01.2021

Foto von Burkhard Götze (Fotonachweis: Daniel Wandke)

Logo Stummfilm Magazin (Bildnachweis: Stummfilm Magazin)

Logo "100 Jahre Stummfilm-Klassiker der Weimarer Republik" (Bildnachweis: Stummfilm Magazin)

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Fotonachweise: Daniel Wandke (Potraitfoto Burkhard Götze); Burkhard Götze (Notenblatt); Stummfilm Magazin (Schreibmaschine)

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