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Aktuelles zur Restaurierung und Veröffentlichung von "Die Stadt ohne Juden" (1924)

Nach dem erfolgreichen Abschluss der weltweit beachteten Crowdfunding-Initiative zur Rettung von Hans Karl BreslauersDie Stadt ohne Juden (1924), lud das Filmarchiv Austria am 15. Dezember 2016 zu einem Pressegespräch in das METRO Kinokulturhaus in Wien ein, um den weiteren Fortgang des Projektes darzustellen. Dabei wurden auch Informationen zur Restaurierung und Veröffentlichung gegeben:

In einer ersten Phase werden nun die wichtigsten Sicherungsmaßnahmen zur Filmrettung von "Die Stadt ohne Juden" umgesetzt. Dazu zählt die mechanische Restaurierung, die optisch-chemische Umkopierung des fragilen Nitrofilmoriginals, sowie eine erste Digitalisierung. Nach der Schließung des letzten österreichischen Filmkopierwerkes, der Synchro Film in Wien im Frühjahr 2016, müssen alle klassischen Umkopierungsarbeiten in einem auf Archivfilm spezialisierten internationalen Filmlabor durchgeführt werden.

Der wichtigste Schritt ist die Überspielung des teilweise beschädigten Nitrofilmpositivs auf modernes 35mm-Sicherheitsfilmmaterial. Dabei wird zunächst ein neues 35mm-Negativ und dann eine 35mm-Vorführkopie hergestellt. Diese klassische analoge Sicherungsmethode gewährleistet eine sehr lange Haltbarkeit und bietet die optimale Voraussetzung für die Digitalisierung. Die analoge Filmkopie wird anschließend in höchster Auflösung (4K) gescannt, die daraus gewonnenen Rohdaten bilden die Basis für die digitale Filmrestaurierung.

In Phase zwei erfolgt dann die Rekonstruktion des gesamten Quellenmaterials, dies umfasst auch eine neue Umkopierung der ursprünglichen Nitrofilmquelle aus den Niederlanden. Begleitet von renommierten FilmwissenschaftlerInnen wird der neue Fund aus Frankreich mit dem bestehenden Material abgeglichen und in der filmphilologischen Rekonstruktion zu einer neuen integralen – möglichst an die Ursprungsversion angenäherten – Fassung zusammengefügt. Nach derzeitigem Erkenntnisstand ist davon auszugehen, dass die nun möglich werdende neue Rekonstruktion von "Die Stadt ohne Juden" eine sehr hohe Übereinstimmung mit der 1924 herausgebrachten Originalfassung dieses österreichischen Stummfilms aufweisen wird.

Das vollständig rekonstruierte Material wird anschließend mit den Methoden der digitalen Filmrestaurierung unter Bedachtnahme auf die besondere Anmutung des analogen Originals technisch optimiert. Mit den in Zusammenarbeit mit dem Filmarchiv Austria in Österreich entwickelten Spezialprogrammen zur elektronischen Bildbearbeitung werden die Filme Kader für Kader restauriert. Maßgebliche Verbesserungen lassen sich vor allem im Bereich der Bildstabilisierung, Staub- und Kratzerentfernung, Farbangleichung sowie in Bezug auf das Generieren fehlender Bildteile erzielen. Bei "Die Stadt ohne Juden" werden etwa 100 000 einzelne Filmkader bearbeitet. Anschließend werden die digital restaurierten Daten wieder auf 35mm-Film ausbelichtet.

Für die Finanzierung der Phase 2 hofft das Filmarchiv Austria auf die Unterstützung der öffentlichen Hand. Einige private Organisationen haben bereits zugesagt, bei der Co-Finanzierung behilflich zu sein.

Festival-Aufführungen, Fernsehausstrahlungen, DVD/Blu-ray-Veröffentlichung, Ausstellung ...

Nach Fertigstellung der digitalen Rekonstruktions- und Restaurierungsarbeiten kann "Die Stadt ohne Juden", über 90 Jahre nach der Erstaufführung, erstmals wieder in einer nahezu vollständigen und authentischen Fassung präsentiert werden. Die feierliche Erstaufführung der neu restaurierten Fassung von "Die Stadt ohne Juden" soll im Spätherbst 2017 am Vorabend des Jubiläumsjahres „100 Jahre Republik 2018“ erfolgen.

Für dieses außergewöhnliche Stummfilm-Projekt plant das Filmarchiv Austria eine ebenso außergewöhnliche Begleitmusik erstellen zu lassen. Nachdem es zu "Die Stadt ohne Juden" keine überlieferte Originalmusik gibt, wird eine Neukomposition ins Auge gefasst. Schon in nächster Zeit werden Gespräche mit hochkarätigen MusikerInnen und KomponistInnen geführt. Ziel ist die Produktion einer großen Film&Live-Musikfassung, die ab 2018 in Wien und in verschiedenen internationalen Musiktheater- und Konzerthäusern präsentiert werden soll.

Auch aufgrund der weltweiten Medienresonanz sind bereits diverse Anfragen betr. Aufführungen und Fernsehausstrahlungen eingelangt, u.a. seitens des MOMA in New York, von diversen internationalen Filmfestivals (z.B. Jerusalem Filmfestival, Hollywood Filmfestival), sowie von Fernsehsendern in Deutschland, Frankreich, Russland, Israel, usw. Für die USA steht eine Präsentationstournee in Diskussion, hier gibt es seit vielen Jahren großes Interesse an der Wiederaufführung einer vollständigen Fassung von "Die Stadt ohne Juden". In Amerika gilt der Film nach wie vor als Meilenstein für die filmkünstlerische Antizipation des Holocaust in Europa.

Ein weiteres konkretes Projekt ist die Veröffentlichung der rekonstruierten Originalfassung in Form einer DVD bzw. Blu-ray (hier ist ein auch US-weiter Vertrieb geplant) sowie einer wissenschaftlichen Begleitpublikation, die auf die film- und zeithistorische Dimension von "Die Stadt ohne Juden" Bezug nimmt. Diese Publikation wird in Zusammenarbeit mit den renommierten Historikern Prof. Frank Stern (Institut für Zeitgeschichte, Universität Wien) und Prof. Klaus Davidowicz (Institut für Judaistik, Universität Wien) herausgegeben und erscheint im verlag filmarchiv austria Ende 2017/Anfang 2018.

Ein besonderes Highlight wird die Konzeption einer Ausstellung rund um den Film "Die Stadt ohne Juden" im Metro Kinokulturhaus in Wien sein. Diese für den Spätherbst 2017 vorbereitete große Schau befasst sich mit dem Verhältnis von Kino, jüdischer Kultur und Zeitgeschichte in den Jahren 1918 bis 1938 und wird der kritische Beitrag des Filmarchiv Austria zum Republiksjubiläum 2018 und den geplanten Aktivitäten rund um das Haus der Geschichte sein. Mit dieser Ausstellung soll auch demonstriert werden, wie das filmische Erbe Österreichs in die zeitgemäße Museumsarbeit zur Vermittlung von Zeitgeschichte eingebunden werden kann.

Kommentar von Frank Hoyer, Herausgeber von Stummfilm Magazin, zur Crowdfunding-Initiative des Filmarchiv Austria

Textquelle und Fotos: Filmarchiv Austria