Deutscher Stummfilmpreis erstmals verliehen

ZDF/ARTE-Redakteurin Nina Goslar und der Stummfilmmusiker Richard Siedhoff sind die Preisträger in 2020.

Der Deutsche Stummfilmpreis ehrt Persönlichkeiten und Institutionen, die sich um die Präsentation, Wertschätzung, Förderung, Erforschung oder Bewahrung des frühen Films verdient gemacht haben. Das Online-Magazin „Stummfilm Magazin“ verleiht im Jahr 2020 zum ersten Mal den Deutschen Stummfilmpreis, der ab dann jährlich vergeben wird.

Mit der Auszeichnung möchte das Magazin beispielhaft die vielen leidenschaftlichen und vielfältigen Bemühungen zur Pflege des frühen Filmerbes würdigen, die von engagierten privaten Initiativen bis hin zu öffentlich geförderten Institutionen geleistet werden. Zudem soll der Preis größere Aufmerksamkeit auf ein Filmgenre ziehen, das auch heute noch aufgrund seiner oftmals einzigartigen und nach wie vor einflussreichen künstlerischen Kraft zu faszinieren vermag.

Die Preisträger 2020

Den Deutschen Stummfilmpreis für besondere Verdienste um die Stummfilmkultur erhält Nina Goslar. Sie ist seit vielen Jahren in der ARTE-Filmredaktion des ZDF für historische Filmreihen und Filmkonzerte verantwortlich. Sie prägt mit ihrer Leidenschaft für den frühen Film und dessen Aufführungskontext die Stummfilmkultur – nicht nur in Deutschland, sondern auch international. Mit Nina Goslar hat der Stummfilm eine engagierte Fürsprecherin, die sich mit Fachkompetenz und musikalischem Anspruch für ein lebendiges Filmerbe einsetzt.

„Meine Freude über den Preis ist in diesen Tagen, in denen der Öffentliche Rundfunk wieder einmal unter Beschuss steht, besonders groß. Ich nehme ihn stellvertretend für ARTE entgegen, denn auch ARTE bekommt bei den Diskussionen um Sinn und Zweck eines gebührenfinanzierten Rundfunks regelmäßig sein Fett weg. Es heißt, ARTE sei elitär und mache ein Programm für Minderheiten – ja klar, das Stummfilmpublikum ist eine Minderheit, aber eine hellwache, kritische und engagierte.

Der Deutsche Stummfilmpreis gebührt deshalb vor allem ARTE, der als einziger Sender in Europa dem Stummfilm einen festen Sendeplatz bietet und der auch Raum für Experimente lässt. Zum Glück haben wir in Deutschland viele Wege, über institutionelle Kooperationen Projekte ins Laufen zu bringen, die der kommerzielle Medienmarkt wegen geringer Rentabilität liegen lässt. Dabei sind Stummfilme doch so anregend; sie sind wie Zeitkapseln, in denen die Energien ihrer Entstehungszeit gespeichert sind. Diesem innovativen Geist ist das ARTE Stummfilmprogramm verpflichtet.

Mein Dank gilt auch den Initiatoren des Stummfilm Magazins. Zum ersten Mal hat der Stummfilm in Gestalt des Stummfilm Magazins ein Forum, auf dem quasi überparteilich alles dokumentiert wird, was die Lebendigkeit der Stummfilmszene ausmacht. Dieses idealistische Engagement für die frühe Filmgeschichte eint alle, die den Stummfilm als ein großartiges Kulturerbe pflegen. Danke also für diese Anerkennung!“, sagte Nina Goslar nach Bekanntgabe der Preisträger.

Richard Siedhoff erhält den Deutschen Stummfilmpreis 2020 für die Rekonstruktion der originalen Filmmusik von „Der Golem, wie er in die Welt kam“ (D 1920). Dem Stummfilmmusiker, der seit 2008 deutschlandweit und international Stummfilme vertont, ist es zu verdanken, dass einer der bedeutendsten Stummfilmklassiker der Weimarer Republik hundert Jahre nach der Uraufführung wieder als Augen und Ohren betörendes Gesamtkunstwerk aufgeführt werden und sein Publikum begeistern kann.

"Es rührt mich sehr, dass ich für meine Rekonstruktion der Golem-Musik den Deutschen Stummfilmpreis 2020 erhalte. Und es freut mich besonders, dass die Musik des jüdischen Komponisten und Holocaust-Opfers Hans Landsberger nun eine gebührende Würdigung und Aufmerksamkeit erfährt. Nach mehr als zwei Jahren Arbeit an diesem Projekt ist diese Auszeichnung ein unerwartetes Finale, wofür ich sehr dankbar bin. Gleichermaßen gebührt der Preis natürlich den Mitwirkenden, den Filmrestauratoren, Sponsoren, den vielen Musikern und dem Dirigenten Burkhard Götze. Ohne sie hätte das Projekt nie realisiert werden könne. Vielen Dank!", äußerte sich Richard Siedhoff nach Bekanntgabe der Auszeichnung. (www.richard-siedhoff.de)

Coronabedingt konnte die offizielle Übergabe in 2020 nicht in einem feierlichen Rahmen stattfinden. Die Bekanntgabe der diesjährigen Preistäger erfolgte am Sonntag, den 20. Dezember 2020, über die verschiedenen Online-Kanäle von Stummfilm Magazin, beispielsweise auf der Internetseite stummfilm-magazin.de und der Facebookseite „stummfilmmagazin“.

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Laudatio auf Nina Goslar anlässlich der Verleihung des Deutschen Stummfilmpreises 2020

Nina Goslar ist seit vielen Jahren bei der ARTE-Filmredaktion des ZDF für historische Filmreihen und Filmkonzerte verantwortlich. Sie prägt mit ihrer Leidenschaft für den frühen Film und dessen Aufführungskontext die Stummfilmkultur – nicht nur in Deutschland, sondern auch international. In einer von Quoten und schnellen Reizen dominierten Fernsehlandschaft schafft sie Inseln für den Stummfilm und deren Liebhaber*innen. Der Sendeplatz bei ARTE ist ein Kristallisationspunkt für Stummfilmfreund*innen im deutschen und französischen Fernsehen.

Nina Goslar ist an der Realisierung großer internationaler Restaurierungsprojekte beteiligt. Dabei legt sie besonderes Augenmerk auf eine dem Bild gleichberechtigte musikalische Fassung. Viele der von ihr betreuten Stummfilmproduktionen erlebten an prominenten Orten überregional beachtete Premieren, darunter „Der Rosenkavalier“ (A 1926, Regie: Robert Wiene, Musik: Richard Strauss in der Bearbeitung von Bernd Thewes) an der Semper-Oper Dresden, „Schatten“ (D 1923, Regie: Arthur Robison mit neuer Musik von Johannes Kalitzke) auf den Wittener Tagen für neue Kammermusik oder zuletzt „La Roue“ (F 1923, Regie: Abel Gance, mit der historischen Premierenmusik von Paul Fosse und Arthur Honegger) im Konzerthaus Berlin und auf dem Festival Lumière.

Mit der von ihr initiierten Reihe „Kino Varieté“, die unter anderem an der Komischen Oper Berlin zu erleben war, hat Nina Goslar dem Stummfilm-Liveevent neue Impulse gegeben. Die abwechslungsreichen Aufführungen mit Livemusik, Songs und Artistik beschwören das Flair früher Kinoaufführungen und begeistern auch ein Publikum, das sich zuvor noch nie mit Stummfilmen beschäftigt hat.

Mit Nina Goslar hat der Stummfilm eine engagierte Fürsprecherin, die sich mit Fachkompetenz und musikalischem Anspruch für ein lebendiges Filmerbe einsetzt.

Die Redaktion des Stummfilm Magazins
Köln im Dezember 2020

Laudatio auf Richard Siedhoff anlässlich der Verleihung des Deutschen Stummfilmpreises 2020

Richard Siedhoff erhält den Deutschen Stummfilmpreis 2020 für die Rekonstruktion der originalen Filmmusik von „Der Golem, wie er in die Welt kam“ (D 1920). Dem Stummfilmmusiker ist es zu verdanken, dass einer der bedeutendsten Stummfilmklassiker der Weimarer Republik hundert Jahre nach der Uraufführung wieder als Augen und Ohren betörendes Gesamtkunstwerk aufgeführt werden und sein Publikum begeistern kann.

Die Originalmusik von Dr. Hans Landsberger zum Film galt lange als verschollen. Richard Siedhoff entdeckte 2018 einen Klavierauszug der Komposition und rekonstruierte aufwändig die Orchesterfassung. Wie sich im Rahmen der Rekonstruktionsarbeiten zeigte, schrieb Dr. Hans Landsberger eine punkgenaue, so opulent wie innovative Orchestermusik. Er nutzte die Leitmotivtechnik und brach zudem sinfonische Strukturen auf, um dem schnell wechselnden Filmgeschehen musikalisch Ausdruck zu verleihen.

Das wiederentdeckte Notenmaterial glich allerdings einem Fachwerkhaus, von dem nur noch das Holzgerüst vorhanden ist. Richard Siedhoff löste die sich aus der Rekonstruktion ergebenden Herausforderungen mit beeindruckendem kompositorischen Können und herausragendem musikalischen Einfühlungsvermögen: Das "Golem-Klanggebäude" erstrahlt nun wieder in neuem Glanz.

Die Uraufführung der „wiederauferstandenen“ Musik fand im September 2020 im Deutschen Nationaltheater Weimar statt. Es spielte die Staatskapelle Weimar unter dem Dirigat von Burkhard Götze zu einer neuen Filmrestaurierung des Filmmuseums München.

Richard Siedhoff ist es mit seiner herausragenden kompositorischen und von feinem detektivischen Spürsinn geleiteten Arbeit gelungen, einen der großen Stummfilme wieder als integrales Kunstwerk auferstehen zu lassen. Sein Wirken ergänzt auf beeindruckende Weise das nur fragmentarisch erhaltene musikalische Vermächtnis von Dr. Hans Landsberger.

Die Redaktion des Stummfilm Magazins
Köln im Dezember 2020