Stummfilmmusiker Richard Siedhoff über die Weimarer Stummfilm-Retrospektive im Rahmen des Kunstfest Weimar 2022

Die IV. Weimarer Stummfilm-Retrospektive zeigt in Kooperation mit dem Kunstfest Weimar auch in 2022 wieder Filme, die vor 100 Jahren in den Weimarer Kinos liefen.

Im Mittelpunkt stehen von 29. August bis 08. September Kinowerke, die 1922 die Spielpläne in Weimar ausmachten. Wie gehabt werden alle Filmvorführungen von international renommierten Stummfilm-Musiker*innen live vertont. Stummfilm Magazin sprach mit Richard Siedhoff, der nicht nur in die Organisation des Festivals involviert ist, sondern auch an zwei Abenden live musikalisch zu hören sein wird.

Die diesjährige Retrospektive steht unter dem Motto "Branntwein, Tabak, Kino!". Das verspricht eine ausgelassene Stimmung im Lichthaus Kino, oder wie ist der Slogan zu verstehen?

Das diesjährige Motto verweist auf die damals eingeführten Besteuerungsgesetze des Jahres 1922, wie sie in der Berliner Börsenzeitung schlagwortartig zu finden sind. In den Zeiten der Inflation wurde das Kino kurzzeitig als Luxusgut gehandelt. Gegen die enormen Besteuerungen wehrten sich dann auch viele Kinobesitzer.

Auf welche Stummfilm-Highlights können sich die Gäste der Retrospektive freuen?

Großes Highlight wird Murnaus viel zu selten gezeigter Film "Phantom" sein, den die Staatskapelle Weimar mit der Musik von Robert Israel begleiten. Der Komponist wird selbst dirigieren! Ich bin sehr froh, einen so prominenten Gast nach Weimar geholt zu haben. Sicher werden ihn die meisten Stummfilmfreunde von den unzähligen DVDs von Keaton, Lloyd und anderen amerikanischen Klassikern kennen. Aber er hat auch für viele europäische Filme sehr einfühlsame Musiken geschrieben. Ein anderes Highlight ist die neu restaurierte Fassung von "South", die berühmten Originalaufnahmen der glorreich gescheiterten Shackelton-Expedition an den Südpol, den wir live mit elektronischer Musik von Matthias Hirth präsentieren. Dann haben wir "Tischlein deck dich" von Wilhelm Prager und den recht unbekannten Sensationsfilm "Das Souper um Mitternacht", der in Schwerin und Rostock gedreht wurde. Neben Klassikern wie Fritz Langs Zweiteiler "Dr. Mabuse" kommt auch der schwedische Stummfilmklassiker schlechthin "zu Wort": "Herrn Arnes Schatz" von Mauritz Stiller. Besonders freue ich mich auch auf einen Abend mit zwei wichtigen Filmen des Autors Carl Meyer: "Hintertreppe" und "Vanina". Dazwischen tauchen auch frühe Chaplin-Komödien als Vorfilme auf. Wir merken also: Im Jahr 1922 liefen nicht nur Werke von 1922, sondern auch Auslandsfilme – insbesondere aus den USA. Diese kamen wegen des Krieges und des Einfuhrverbots von sogenannten "Feindesfilmen" erst mit großer Verzögerung nach Deutschland.

Das musikalische Liveerlebnis ist ein wichtiger Bestandteil der Weimarer Stummfilmtage. Welche Musiker*innen werden erwartet und welche unterschiedlichen musikalischen Stilrichtungen zu hören sein?

Neben Robert Israel, der auch "Herrn Arnes Schatz" live am Klavier begleiten wird, und Klangkomponist Matthias Hirth haben wir zum zweiten Mal Maud Nelissen zu Gast. Zudem den Berliner Jazz-Pianisten Ekkehard Wölk und den Leipziger Tobias Rank, der diesmal im Duett mit dem Saxophonisten Sebastian Pank spielt, zu einem düsteren Science-Fiction-Film: "Die Insel der Verschollenen". Ich selbst musiziere wieder zusammen mit meinem langjährigen Duo-Partner Mykyta Sierov aus Kiew.

Können Sie uns einen Einblick in das Rahmenprogramm geben?

Das Rahmenprogram besteht diesmal in erster Linie aus historischen Wochenschauen, diesmal alle von 35mm projiziert, wie übrigens die Hälfte unserer Retro. Dazu gibt es einige Vorfilme und natürlich kurze Filmeinführungen. Nach jeder Vorstellung lädt das Lichthaus Kino unter dem Motto "Wir setzen uns ins CC!" in die Cine-Corner zum munteren diskutieren bei Kneipen-Feeling.

Fritz Langs Mabuse-Zweiteiler ist Anfang und Ende der Retrospektive, wirkt wie ein Klammer für das gesamte Programm ...

Ja, das ist richtig. Denn damals lief der Zweiteiler ja auch nicht direkt hinter einander weg. Und vielleicht bewegt es ja einige Filmfans, für die ganze Retrospektive in Weimar zu bleiben. Es lohnt sich!

Wie werden Sie und Mykyta Sierov sich dem Mabuse-Film musikalisch nähern?

Es gibt eine Musikfassung von Konrad Elfers von 1965, die ich sehr schätze. Eventuell werden wir Motive daraus übernehmen. Ich werde aber darüber hinaus viele eigene Themen und Musiken, die ich dafür schon in der Schublade habe, verwenden, und dann werden wir auch viel improvisieren – mit Konzept, natürlich! Es müssen also noch knapp fünf Stunden Film geübt werden – aber es ist ja noch etwas Zeit.

Wir danken Ihnen für die interessanten Einblicke und wünschen der Weimarer Stummfilm-Retrospektive viel Erfolg!
Das Interview führte Frank Hoyer
Stummfilm Magazin ist Medienpartner der Weimarer Stummfilm-Retrospektive 2022
 

Linktipps:
Weimarer Stummfilm-Retrospektive
Richard Siedhoff

Lesetipp:
Am 27. April 1922 wurde der erste Teil von Fritz Langs "Dr. Mabuse, der Spieler" im Berliner Ufa-Palast am Zoo uraufgeführt. Autor Arndt Pawelczik würdigt den Film im Rahmen der Stummfilm Magazin-Initiative 100 Jahre Stummfilm-Klassiker der Weimarer Republik. Hier geht es zur Filmbesprechung.
 

Foto: Elias Wachholz
 

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