Musiker Tobias Rank über das WANDERKINO und dessen Publikum

Das WANDERKINO ist seit 1999 in ganz Europa unterwegs und ermöglicht ein nostalgisches Kinoerlebnis wie vor über hundert Jahren.

Mit analoger 16mm-Projektionstechnik werden Stummfilme unterschiedlicher Genres, von Slapstick bis zum Avantgardefilm, in Open-Air-Ambiente gezeigt. Ein rotes Oldtimer-Feuerwehrauto aus dem Jahr 1969 ist die außergewöhnliche Kulisse für das Kinoerlebnis. Stummfilm Magazin sprach mit dem Musiker Tobias Rank über das WANDERKINO und sein Publikum.

Vielen Dank, dass Sie zwischen den vielen Aufführungen und Fahrten des WANDERKINOS Zeit für dieses Gespräch gefunden haben. Vielleicht stellen Sie sich am Anfang einfach mal kurz vor.

Ich bin in Leipzig geboren, studierte an der dortigen Hochschule die Fächer Klavier, Komposition und Improvisation. In den Folgejahren, und bis heute, bin ich aktiv als Theatermusiker, Konzertpianist – hier hauptsächlich für Neue Musik–, Liedbegleiter, Chansonier und Dozent an verschiedenen Musikhochschulen und Akademien.

Zum Stummfilm bin ich 1994 durch eine Anfrage des Soziokulturellen Zentrums "naTo" in Leipzig gekommen, ein Kompositionsauftrag für eine neue Musik zum "Golem" von Paul Wegener. Dafür machte ich eine Konzeption für fünf Musiker und wir führten diese dann an mehreren Orten auf. Anschließend bin ich vereinzelt auch mit anderen Stummfilmen in Kinos aufgetreten.

Wie ist die Idee zum Wanderkino entstanden?

Mein langjähriger Kollege und Freund Gunthard Stephan, den ich vom Studium und von verschiedenen Theaterprojekten schon kannte, kaufte 1998 ein altes Feuerwehrauto. Dieses ausschliesslich privat zu nutzen erwies sich mit der Zeit als zu kostenintensiv. So schauten wir nach anderen Möglichkeiten der Nutzung. Die Idee eines herumfahrenden Kinos gefiel uns. Wir gründeten das WANDERKINO und zeigten Stummfilme, da wir gerne musizieren wollten.

1999 hatten wir unsere erste Tour: 15 Aufführungen von Leipzig aus über Mecklenburg bis an die Ostsee. Wir waren damals zu viert: eine Schauspielerin, die zwischen den Filmen Lieder sang und kleine Pantominen spielte, ein Schlagzeuger, Gunthard mit der Violine und ich am Piano. Die Idee des Varietes als Rahmen für die Stummfilme war damals sehr lebendig. Wir projizierten die Filme in diesem ersten Jahr noch mit einem Video-Beamer. Es war eine sehr aufregende Zeit, jede Aufführung ein kleines Abenteuer.

Der Begriff Wanderkino steht auch für Kinovorführungen in den Nachkriegsjahren, die von mobilen Filmvorführern in ländlichen Gebieten und in Städten, wo die Kinos zerstört waren, durchgeführt wurden. Nun bringen Sie mit ihrem rollenden Kino den Stummfilm, der ja heute eher selten bei Kinovorführungen zu sehen ist, wieder den Menschen wortwörtlich näher. Sehen Sie sich da auch als Botschafter des frühen Films?

Die Tradition des Wanderkinos im ländlichen Raum hat uns immer sehr interessiert. Kino dahin zu bringen, wo die Menschen sonst keine Möglichkeit haben Filme zu schauen, war und ist eine tolle Form der Unterhaltung, Informationsverbreitung und Begegnung. In manchen Gegenden waren die Wanderkinos, meist ein Filmvorführer mit einem mobilen 35mm-Projektor auf dem Fahrrad oder Moped mit Anhänger, bis in die 1960-er Jahre unterwegs. Zumeist fanden die Aufführungen in Gasthäusern oder Dorfgemeinschaftsräumen statt. Open-Air eher selten.

Mit der flächenhaften Verbreitung der Fernseher starben die Wanderkinos. Nun saß jede Famile am Abend allein in ihrer Wohnstube. Mit unserer Form des Wanderkinos sind wir natürlich Botschafter einer frühen Filmkultur. Die Stummfilme, die Musikbegleitung dazu, die ratternde 16mm-Projektion, das ganze Ambiente mit dem Oldtimer und den Holzkoffern etc. – das gefällt den Menschen, hat ja auch etwas sehr entschleunigendes, zeitloses. Das wurde vor ein paar Jahren auch vom Goethe-Institut erkannt. Es schickt uns nunmehr immer mal auf Reise, als lebendiges Zeugnis einer auch deutschen Filmkultur.

Können Sie uns etwas über Ihr Publikum erzählen? Das werden doch nicht nur eingefleischte Stummfilmfans dabei sein?

Das Publikum bei unseren Veranstaltungen ist sehr gemischt, das ist wunderbar! Viele ältere Leute, junge Menschen mit ihren Kindern, Studenten, Akademiker, Camper, Arbeitslose etc. Alle sozialen Gruppen sind vertreten, fühlen sich wohl und können sich an den Filmen erfreuen.

Am schönsten sind die Aufführungen, zu denen Eltern oder Großeltern auch ihre – oftmals pubertierenden – Jugendlichen mitbringen. Die sind am Anfang oft missgelaunt, ob auch der Ungewissheit, was sie erwartet. Sie hantieren mit ihren Mobiltelefonen, wirken deplaziert. Aber nach spätestens zehn Minuten sitzen sie gebannt vor der Leinwand und staunen und lachen mit den anderen Zuschauern zusammen.

Die von Ihnen gezeigten Filme bedienen alle möglichen Genres, von der Komödie über das Drama bis zum Avantgardestreifen. Welche Filmrichtungen liegen Ihnen mehr?

Ich konzipere gerne Filmprogramme, in denen ich versuche, die von Ihnen genannten Genres zu verbinden, so dass das Publikum nicht nur Slapstick zu sehen bekommt, sondern auch mal einen französischen surrealistischen Film oder einen neuen Stummfilm, beispielsweise von Studenten der Potsdamer Filmhochschule. Man sollte bei der einzelnen Programmauswahl immer sehr genau schauen, welches Publikum erwartbar ist. Dies bespreche ich im Vorhinein auch meistens sehr ausführlich mit den jeweiligen Veranstaltern. Als Musiker sind für mich alle Filmgenres und Filmlängen sehr reizvoll.

Wie entstehen Ihre musikalischen Ideen zu einem Stummfilm?

Wir schauen uns die Filme im Vorfeld sehr genau an. Manchmal sprechen wir darüber, über Details in den Filmen oder über Besonderheiten in der Dramaturgie. Aber dann spielen wir ab der ersten Aufführung einfach drauflos. Es ist ja alles improvisiert und jeden Abend anders, abhängig vom Publikum, von klimatischen Situationen, von persönlicher Verfassung etc. Im Laufe der Zeit verfestigt sich eine „musikalische Hülle“ für jeden einzelnen Film. Natürlich ist es auch davon abhängig, in welcher musikalischen Besetzung die Aufführung stattfindet. Derzeit spiele ich viel mit dem Saxophonisten und Bassklarinettisten Sebastian Pank, manchmal mit Gunthard Stephan und gerne auch Aufführungen allein am Piano.

Der Sommer ist ja eine tolle Zeit für Open-Air-Kinovorführungen. Was macht das WANDERKINO in der Winterzeit?

Im Winter ruht das WANDERKINO im Wesentlichen, die WANDERKINO-Feuerwehr steht in einer Garage. Ab Oktober bin ich dann verstärkt mit der Organisation und Tourplanung für die kommenden Wanderkinosommer beschäftigt. Manchmal gibt es einzelne Veranstaltungen in Kinos oder bei privaten Anlässen. Für das Frühjahr 2022 habe ich beispielsweise Einladungen für Aufführungen nach Tokio, Bangkok, Madrid und Stockholm. Natürlich dann ohne den Oldtimer ...

Wir danken Ihnen sehr für die spannenden Einblicke und wünschen Ihnen weiterhin viele tolle Vorführungen mit dem WANDERKINO!

Das Interview führte Frank Hoyer.
Bildnachweise: privat; Zeichung WANDERKINO: Tilo Baumgärtel

Linktipps:
♦ Das Wanderkino im Internet unter www.wanderkino.de und www.tobiasrank.de 
Bericht des Hessischen Fernsehens über das Wanderkino

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