Mit Leinwand-Lyrik durch die Coronakrise: Interview mit Ralph Turnheim

Kulturveranstaltungen mit Publikum sind aufgrund der aktuellen Pandemiesituation nicht möglich. Darunter leidet auch die lebendige und vielfältige Stummfilmkultur, von der kleinen Aufführung mit Solo-Klavierspieler*in in Clubkinos bis zum großen Stummfilmkonzert mit Orchester in repräsentativen Kulturtempeln.

Auch Ralph Turnheims Leinwand-Lyrik-Programme können momentan nicht live stattfinden. Der Kinoerzähler hat die freie Zeit genutzt und nun seine erste DVD vorgelegt: "Die Zunge des Zorro". Neben dem Sprachakrobaten ist dort auch der Stummfilmmusiker Gerhard Gruber zu hören.

Mit der Veröffentlichung ist jetzt erstmals ein Leinwand-Lyrik-Programm vollständig als "Heimkino" zu erleben. Stummfilm Magazin sprach mit Ralph Turnheim über die Veröffentlichung und die aktuelle Situation.

In der derzeitigen Coronapandemie kommt das Lachen oft zu kurz. Da bietet Ihre DVD das richtige Gegenmittel. War die Idee dafür schon länger in der Planung oder entstand sie durch die coronabedingten Einschränkungen?

Die DVD war ein langgehegter Wunsch. Seit etwa drei Jahren arbeite ich an der Realisation, neben den laufenden Vorstellungen und Premieren. Wobei ich anfangs viel herumprobieren musste, wie ich die Leinwand-Lyrik am besten auf DVD übertragen kann. Ich hatte unter anderem sogar an einer Komplett-Synchro gearbeitet, mit mehreren Stimmen, allen Geräuschen, um so das Medium ganz auszureizen. Schließlich schien es mir am klügsten und schönsten, eine Vorstellung mit Gerhard Gruber am Klavier professionell mitzuschneiden, um die Live-Atmosphäre einzufangen. Das zogen wir 2018 im ältesten Kino Wiens durch. Es gab nur einen Versuch. Ich hab mich tatsächlich kein einziges Mal versprochen.

Damit stand ich aber erst am Anfang. Denn "Zorro" gibt es zwar digitalisiert und restauriert, aber alle Fassungen, die ich auftreiben und sichten konnte, unterschieden sich stark von meiner gebrauchten 16-mm-Vorführkopie, auf die mein Text und Vortrag getimt sind. Bei mir gibt es einen Witz, als Zorro seine Schüssel mit Bohnen abstellt und dabei die Schüssel kippt. Aber in der anderen Version kippen die Bohnen nicht! Solche Beispiele gibt es viele. Nun, nach dem zweiten Lockdown nahm ich mir motiviert Zeit für den Endspurt, um Fans des Stummfilms und der Leinwand-Lyrik einen Ersatz für all die Ausfälle zu bieten. Ich hatte Glück, ich hatte tolle Helfer, und der lange Weg zur DVD war wohl ein Ausgleich zu der überraschenden Leichtigkeit, mit der mir die Lyrik zu "Zorro" seinerzeit von der Hand ging.

Was erwartet den Zuschauer auf der DVD neben dem leinwand-lyrisch veredelten Fairbanks-Film?

Als Extra gibt es die Einführung und das Publikumsgespräch der Live-Vorstellung in den Breitenseer Lichtspielen, einem der ältesten Kinos der Welt, erbaut 1909. Der Ort und das Publikum sind ja wichtiger Teil des Filmerlebnisses, darum bin ich froh, dass wir davon etwas mit der Kamera eingefangen hatten. Die Vorstellung war vor Corona, der Kinosaal voll, man wird fast nostalgisch.

Für Freunde traditioneller Klavierbegleitung hat der Stummfilmpianist Gerhard Gruber außerdem eine eigene, neue Musiktonspur eingespielt, man kann Zorro also auch ohne Erzähler erleben und die Wirkung vergleichen. Der DVD liegt – und darauf bin ich besonders stolz – ein aufschlussreiches Booklet bei, das den Film von allen Seiten beleuchtet: Zorro von A bis Z.

Mit dem Stummfilmmusiker Gerhard Gruber haben Sie einen kongenialen Partner an Ihrer Seite. Wie muss man sich die Proben und das Zusammenspiel vorstellen?

Proben: gar nicht. Das ist das großartige an einem erfahrenen Impropianisten wie Gerhard. Er sieht sich den Film vorher an, idealerweise eine Aufzeichnung einer meiner Solovorstellungen, ansonsten sprechen wir vorher außergewöhnliche Stellen kurz ab. Etwa bei "Zorro": Ich mache beim Vorspann das Pfeifen des Windes, er legt also nicht gleich los wie üblich, sondern schleicht sich ganz nach seinem Gefühl dazu. Wir achten beide genau auf den Film und entspinnen, mit dem jeweils anderen im Ohr, vor Publikum die gemeinsame Begleitung: Ich mit dem Vortrag meines vorbereiteten Textes, er mit Musik aus dem Moment. Alles verwebt sich sehr organisch. Wir hatten beide jahrelang am Theater gearbeitet, er als Musiker, ich als Schauspieler, einmal sogar in der selben Produktion. Dieses dramatische Grundverständnis eint uns sehr, obwohl wir uns in Ausdruck, Herangehensweise und auch Alter sehr unterscheiden (er hat einen Sohn in meinem Alter). Er sieht sich mit seiner Musik übrigens auch als "Erzähler".

Die Premiere Ihres neuen "Frankenstein"-Programms ist coronabedingt verschoben worden. Wie sehen hierzu nun Ihre Planungen aus und auf was dürfen sich die Zuschauer bei "Frankenstein" freuen?

Wir müssen alle erst einmal in unseren Stuben hocken und abwarten. Das Gute daran ist, dass ich mehr Zeit mit der Vorbereitung verbringen kann. "Frankenstein" wird außergewöhnlich. Die Zuschauer sehen die legendäre erste Verfilmung von 1910 in einer neuen, nie zuvor gezeigten Filmkopie. Und das drei Mal. Doch der 13-minütige Stummfilm wird durch Text und Vertonung jedesmal anders wirken. Es wird eine Version als Filmmusical geben, dafür arbeite ich wieder mit Gerhard zusammen, diesmal aber anders: Er hat ein Moritat komponiert, das jeder Zuschauer als Ohrwurm nachhause nehmen wird. Es könnte auch sein, dass noch andere Frankenstein-Inkarnationen im Programm auftauchen, mehr will ich nicht verraten. Wir hoffen alle sehr, dass die Kinos und somit auch das geliebte Filmmonster noch vor dem Sommer wiederauferstehen.

Frankenstein oder sein Monster: Für welche der zwei Figuren flossen Ihnen die Reime besonders gut aus der Feder?

Beide werden nicht ohne Grund als Einheit gesehen. Aber mehr Stoff bietet natürlich das "Monster": kindlich, hässlich, einsam, brutal und schmerzerfüllt. Nach eingebürgerter Vorstellung ist es wortkarg, im Roman, im ersten Stummfilm und bei mir nicht.

Mittlerweile gibt es auch einen Online-Shop von Leinwand-Lyrik. Was erwartet einen dort?

Merchandise! Wie bei Blockbustern, nur klein und liebevoll zu den alten Klassikern in meinem Programm. Zum Beispiel zum 101-jährigen Zorro: Es gibt das Plakat, die Postkarte, das T-Shirt, die Mundnasenmaske, das Hörbuch und den Kühlschrankmagnet. Die erwähnte neue DVD ist nun das "Kronjuwel". Begonnen hatte es vor Jahren damit, dass ich als Buster-Keaton-Fan und -Vertoner kein ansprechendes Buster-Shirt gefunden hatte. Jetzt gibt es im Shop sogar ein Shirt, auf dem der stille Buster die unvermeidliche Mundmaske trägt. Diese Souvenirs biete ich sonst bei meinen Vorstellungen an. Jetzt, im fortlaufenden Lockdown, hält die Bühne des Webshops die Leinwand-Lyrik lebendig. Die Angebotspalette wechselt und wächst stetig.

Was ist Ihr persönliches Rezept, um gut durch die Coronakrise zu kommen?

Komödienklassiker zu schauen wurde für mich ein Fixpunkt, am besten jeden Tag eine Dosis. Und wenn Sie von Rezept sprechen: Ich perfektioniere meine selbstgemachten Germknödel. Sie gelingen immer öfter, man kann sie süß oder pikant genießen, und wenn ich bei meinen ersten Auftritten nach dem Lockdown selbst aussehe wie ein Germknödel, wissen Sie jetzt exklusiv, warum.

Vielen Dank für die interessanten, auch kulinarischen Einblicke und weiterhin gutes Gelingen mit der Leinwand-Lyrik!

Das Interview führte Frank Hoyer.
Bildnachweise: Elisabeth Dworschak (oben), Ralph Turnheim/Leinwand-Lyrik (Mitte), Clemens Molinari (unten)

Linktipps: 
Leinwand-Lyrik/Ralph Turnheim 
Stummfilmmusiker Gerhard Gruber
Onlineshop Leinwand-Lyrik 
Wikipedia "Das Zeichen des Zoro" 
Breitenseer Lichtspiele Wien

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