"Das Salz Swanetiens" auf ARTE: Interview mit der Musikerin Masha Khotimski

In der Nacht von 24. auf den 25. Mai 2021 ist um 00.40 Uhr auf ARTE TV "Das Salz Swanetiens" (1930) zu sehen. Zudem kann der Film vom 17. Mai bis 22. Juni 2021 in der ARTE-Mediathek abgerufen werden.

Das 1930 entstandene Werk von Michail Kalatozov ist das in expressiven Bildern gefilmte Porträt eines Volkes, das abgeschieden in den kaukasischen Bergen lebt, und seines Alltags, der von Armut und Aberglauben gekennzeichnet ist. Der Film ist weder Spiel- noch Dokumentarfilm, sondern vereint Kulturfilm und verschiedene Handlungselemente. Er gilt als ein früher Meilenstein des ethnographischen Films.

Gesendet wird eine Restaurierung des Filmmuseums München mit einer Musik der in Kiew geborenen Komponistin und Pianistin Masha Khotimski. Stummfilm Magazin hat sich mit der Musikerin über ihre Arbeit zu "Das Salz Swanetiens" unterhalten.

"Das Salz Swanetiens" ist ein Film mit vielen beeindruckenden Bildern und Szenen. Was waren Ihre Gedanken und Eindrücke beim erstmaligen Sehen des Werks?

Bis heute glaube ich, dass ich ein großes Glück hatte, diesen starken Film für mich entdeckt zu haben. Als ich "Das Salz Swanetiens" zum ersten Mal sah, fragte ich mich: Braucht so ein außergewöhnlicher, intensiver Film überhaupt noch Musik? Manchmal hatte ich das Gefühl, den vollen Klang der stummen Bilder zu hören: Türme, die den Himmel schneiden, Wolken, die über dem Kopf summen, das Maul der Kuh, die Suche nach weißem Salz, unendliche Suche – unendliche Reise … Auf mich wirkten all diese schweigenden Bilder wie eine archaische Symphonie.

Wie haben Sie sich dem Film kompositorisch angenähert? Wie entstanden die musikalischen Ideen?

Die Begegnung mit "Das Salz Swanetiens" war für mich eine ganz besondere Zeit. Als ich mir immer wieder die mächtigen Bilder ansah, lief mir zeitweise ein Schauder über den Rücken. Es vergingen Monate und ich prägte mir schon jeden Bildschnitt und jede Bewegung im Film ein ... bis schließlich „Swanetien“ mich zu den fehlenden Tönen, Geräuschen und Klängen begleitete.

Ich entwickelte verschiedene musikalische Konzepte, die mich aber nicht zufriedenstellten. Bis ich die georgischen Gesänge für mich entdeckte: Der typische, kehlige Gesang der Swanen, die Unverfälschtheit des swanischen Volkes. Nicht die Harmonie, sondern die Disharmonie der georgischen Musik half mir die passende Klangfarbe zu finden. Es ging mir um die Gegensätze. Bilder, welche im Film nebeneinander stehen: Begräbnis – ein großes Fest, Geburt – eine große Trauer. Diese Extreme versuchte ich mit Hilfe der Musik noch mehr zu unterstreichen.

Beim Komponieren habe ich manchmal das Gefühl, eine riesige Leinwand vor mir zu haben, darauf nur hell und dunkel Skizziertes. Ich beginne dann die passenden Farben zu suchen, und die Akzente an der richtigen Stelle zu setzen. Das Aufregendste für mich bei der Begegnung mit den Stummfilmen ist nicht nur die musikalische Komposition, welche den Film aufklärt, begleitet oder illustriert, sondern eine musikalische Form des momentanen Ausdrucks aus der heutigen Sicht. Ich bin weiter auf der Suche nach einer neuen musikalischen "Sprache" in dieser geheimnisvollen Welt der Stummfilme.

Wie wurden die Musikaufnahmen durchgeführt? Können Sie uns einen Einblick in die Produktion geben?

Während der Produktion von „Swanetien“ entdeckte ich zufällig den georgischen Chor "Iberisi" aus München. Als ich ihn wegen einer Zusammenarbeit anfragte, sagte er sofort zu. Die Arbeit mit Filmmusik war für den Chor etwas ganz Neues. Gerade das fand ich aber gut, weil er diese ganz "neue Welt" mit großer Neugier und Offenheit entdecken wollte. Die Leute im Chor waren keine Berufsmusiker, für sie war es einfach schön, zu singen.

Wir hatten intensive Proben in den unterschiedlichsten Orten – von kleinen Zimmern bis Münchner Gasteig, von Gemeindesälen bis große Kirchenräumen. Davit Kintsurashvili, der Chorleiter aus Tiflis war immer dabei. Die Proben waren mal sehr lebendig, mal sogar frustrierend. Über fünfzehn Chorlsänger und ich hatten manchmal das Gefühl, den Faden zu verlieren. Das schwierigste war, die Anpassung von Gesang an den Filmschnitt.

Zwischen den Chorproben beschäftigte ich mich mit der Suche nach der passenden Percussion, Elektronik und anderen interessanten Klängen, wie String Drums, Gläsern, Glocken und Zupfinstrumenten, auch eine Bass- und E-Gitarre kamen zum Einsatz. Mit diesen Mitteln wollte ich die musikalische Tiefe erweitern. Plötzlich entstand etwas Ungewöhnliches: Die georgische, archaisch pure Natürlichkeit mit den schrägen, schneidenden, chemisch-synthetischen Instrumenten ergab etwas erschreckend Wahrhaftiges.

Die Uraufführung fand in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste statt und sorgte für Begeisterung. Noch immer sehe ich vor meinen Augen das Bild mit dem Chor vor einer riesigen Leinwand, darauf die Türme, die Berge und die Wolken. Ich beneide die Leute, die diesen unglaublichen Film von Mikhail Kalatozov zum ersten Mal sehen können. Dieser Film ist ein großes Kunstwerk. Später entstand dann eine DVD-Aufnahme mit dem Filmmuseum München für die Edition Filmmuseum.

Was sind Ihre nächsten musikalischen Projekte?

Seit "Swanetien" lassen mich Stummfilme nicht mehr los. Ich hatte weitere schöne Begegnungen mit dem frühen bewegten Bild wie den avantgardistischen Animationsfilm "Interplanitarische Revolution", den kristallklaren "Abwege" von G. W. Pabst und den frischen, witzigen und lebhaften Film "Katka bumaschnij ranet" von F. Ermler. Das Filmmuseum München hat noch einen unbekannten Film von F. Ermler entdeckt. Ich habe diesen Film einmal gesehen. Vielleicht wird dieses Projekt zu Stande kommen und es mir ermöglichen, mit neuen Klängen und Stilen beim Stummfilm zu experimentieren.   

Wir danken Ihnen für die interessanten Einblicke und wünschen Ihnen weiterhin gutes Gelingen.
Das Interview führte Frank Hoyer.
Bildnachweis: privat

Linktipps:
Webseite ARTE 
DVD Edition Filmmuseum

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