Asta Nielsen: Retrospektive in Potsdam zum 50. Todestag

Am 25. Mai 2022 jährte sich zum fünfzigsten Mal Asta Nielsens Todestag. Die Schauspielerin gehört zu den ganz großen Leinwandstars der Stummfilmära und ist auch heute noch eine der bekanntesten Persönlichkeiten des frühen Films.

Stummfilm Magazin sprach mit Dr. Johanne Hoppe, künstlerisch-wissenschaftliche Referentin am Filmmuseum Potsdam, und Elena Baumeister, wissenschaftliche Volontärin am Filmmuseum Potsdam, über "die schweigende Muse", so der Titel der Nielsen-Autobiografie, und die Filmschau "Asta Nielsen ABC. Filme und Fragmente" vom 15. bis 25. September 2022 in Potsdam.

Können Sie uns schon einen Ausblick auf Ihre Asta-Nielsen-Retrospektive geben? Was erwartet das Publikum?

Elena Baumeister: Mit unserer Retrospektive würdigen wir die komödiantischen, tragischen und verführerischen Rollen Asta Nielsens. Der Titel "Asta Nielsen ABC. Filme und Fragmente" ist an den Filmtitel "Das Liebes ABC" angelehnt. Die Vielfalt der Themen, die Asta Nielsens Filme heute noch zu einem grenzüberschreitenden Erlebnis machen, haben wir aus feministischer Perspektive aufgefächert. Wir haben Referent*innen eingeladen, sich die Filme und Programme unter thematischen Aspekten wie Crossdressing, Sexarbeit und Klassenunterschiede anzusehen. Die Retrospektive zeigt analoge und digitale Fassungen sowie aktuelle Restaurierungen aus zahlreichen internationalen und nationalen Archiven. Live-Musik sowie ein Filmangebot im virtuellen Kinosaal begleiten das Programm. Auch das Ausstellungsformat "Das besondere Objekt" im Foyer des Filmmuseums wird der Künstlerin gewidmet.

Wie stellt sich momentan die Überlieferung der Asta-Nielsen-Filme dar, quantitativ und qualitativ?

Dr. Johanne Hoppe: Von den etwa 80 Spielfilmen, die Asta Nielsen gemacht hat, können wir knapp die Hälfte heute noch mehr oder weniger vollständig anschauen. Einige wenige haben als Fragmente überlebt und knapp die zweite Hälfte ist bis dato verschollen. Qualitativ ist die Lage vielfältig. Es gibt sehr sorgsam angefertigte, aktuelle Restaurierungen in wunderbarer Bildqualität. Aber genauso auch bisher vernachlässigte Filme, bei denen wir mit den ein oder anderen Schrammen, Laufspuren oder Tonsprüngen rechnen müssen. Auch diese Einschreibungen ins Material gehören zu den Geschichten dieser Filme. Wir haben uns in der Vorbereitung auf die Ausstellung bisher Sichtungskopien am Bildschirm oder am Schneidetisch angeschaut, wie die Filme auf der großen Leinwand aussehen werden, darauf sind wir selbst gespannt, vor allem bei den 35mm-Kopien.

Wie erklären Sie sich das anhaltende Interesse an Asta Nielsen? Nicht nur in eingefleischten Cineastenkreisen hat sie nach wie vor viele Fans ...

Dr. Johanne Hoppe: Asta Nielsen – es kann nicht oft genug gesagt werden – war DER Star der Stummfilmzeit. Das hatte nicht nur mit dem neuen Medium Film zu tun, sondern auch mit einer in dieser Zeit aufkommenden feministischen Bewegung: mit einer neuen Freiheit für Frauen auf vielen Ebenen. Asta Nielsen verkörpert diese Vielfalt der "Neuen Frau" wie keine andere durch ihr zugleich dezentes wie intensives Spiel und die große Brandreite an Rollen, die sie bekleidete. Die Themen, die in ihren Filmen aufgeworfen werden, waren damals politisch auf der Höhe der Zeit, wurden durch das NS-Regime wieder unterdrückt und sind heute wieder aktuell. Schließlich können wir nicht sagen, dass wir als Gesellschaft bisher einen akzeptablen Umgang mit Schwangerschaftsabbrüchen, Klassenunterschieden oder sexueller Vielfalt gefunden zu haben – um nur einige Beispiele zu nennen.

Elena Baumeister: Hinzuzufügen ist, dass Asta Nielsens Filme vor der Jahrtausendwende in Deutschland nur selten öffentlich gezeigt wurden. Die Beschäftigung mit ihrem Kino haben wir in erster Linie der Kinothek Asta Nielsen zu verdanken.

Mit Beginn der Tonfilmzeit beendete Asta Nielsen ihre Karriere. Sie drehte nur einen Tonspielfilm. Was waren die Beweggründe?

Dr. Johanne Hoppe: Diesen einen Tonfilm, "Unmögliche Liebe" von 1932, zeigen wir als Abschluss unserer Reihe. Die Literaturverfilmung erzählt von Mutterschaft, Liebe im höheren Alter, dem sexuellen Begehren von Müttern und gesellschaftlichen Erwartungen an Frauen. Im Vergleich zum Roman wurde der Film in wichtigen Teilen um seine gesellschaftspolitische, auch feministische Botschaft gebracht. Dass ein Film im Vergleich zu seiner Vorlage weniger progressiv daherkommt, ist für das Werk Asta Nielsens sehr ungewöhnlich. Die Vermutung liegt also nahe, dass Asta Nielsen nicht aus Gründen, die mit der technischen Entwicklung des Tonfilms zusammenhängen, sondern aus filmpolitischen Motiven ihre Karriere beendete. Hierzu stellen wir im Rahmen unseres kleinsten Ausstellungsformats im Filmmuseum Potsdam, "Das besondere Objekt", zeitgleich einen originalen Brief Asta Nielsens aus, den sie 1932 an eine Freundin geschrieben hat. Deutlich wird, dass die avantgardistische Schauspielerin der 1910er und 1920er Jahre mit der Machtübernahme der Nazis und den damit einhergehenden kulturpolitischen Veränderungen keinen Raum mehr für künstlerisches Schaffen sah.

Können Sie uns etwas über den Mensch Asta Nielsen erzählen? Wie war sie als private Person, jenseits der öffentlichen Wahrnehmung?

Elena Baumeister: Asta Nielsen wurde 1881 in Kopenhagen in eine mittellose Arbeiter*innenfamilie geboren, der sie immer nahe stehen sollte, und wuchs teilweise in Schweden auf. Talent und Durchsetzungsvermögen ermöglichten ihr eine Schauspielausbildung am Theater in Kopenhagen. Als junge Frau hielt sie eine ungewollte Schwangerschaft nicht vom Karrierestreben ab und noch im hohen Alter erfand sie sich als Künstlerin neu. "Die Nielsen" stand mit europäischen Intellektuellen und gleichermaßen dem Publikum in engem Austausch. Sie hatte viele erfüllte freundschaftliche und romantische Beziehungen. Berlin blieb Zeit ihres Lebens ihre künstlerisch-intellektuelle Heimat, auf Hiddensee hatte sie einen Rückzugsort. Die 2020 erschienene Biographie "Asta Nielsen. Filmgenie und Neue Frau" von Barbara Beuys sei allen ans Herz gelegt, die sich mehr für die Privatperson interessieren.

Asta Nielsen war allem Anschein nach eine Frau mit selbstbewusstem Auftreten, die ihre beruflichen Angelegenheiten auch selbst in die Hand genommen hat. Und das zu einer Zeit, in der Frauen in vielen gesellschaftlichen Bereichen die Eigenständigkeit vorenthalten wurde. Kann man Asta Nielsen als eine Vorreiterin der Frauenemanzipation bezeichnen?

Elena Baumeister: Auch wenn Asta Nielsen nie direkt Politik gemacht hat, so hat sie doch einen unabhängigen Lebensstil vorgelebt, der durch die zeitgenössische Presse einem breiten (weiblichen) Publikum vermittelt wurde. Vor allem aber sind es ihre Kinorollen, die etwas zum Ausdruck bringen, was heute als agency bezeichnet werden könnte. In unserer Retrospektive haben wir uns vorgenommen, die aus heutiger Sicht feministischen Themen ihrer Filme herauszuarbeiten und zur Diskussion zu stellen.

Wenn Sie nur einen Asta-Nielsen-Film mit auf eine einsame Insel mitnehmen dürften, welcher wäre das? Und warum?

Dr. Johanne Hoppe: Gemeine Frage! Einigen wir uns auf drei! "Afgrunden" als bekanntesten Film mit der fesselnd erotischen Tanzszene, die heute ikonisch ist, will ich nicht missen. Dann bitte eine  Komödie: "Das Versuchskaninchen", so herrlich charmant, subversiv und absurd, dass jede Inseleinsamkeit verweht. Und, wenn wir schon "Wünsch Dir was" spielen, gerne einen der verschollenen Filme: vielleicht "Hedda Gabbler" von 1925, denn den hat Asta Nielsen gemeinsam mit einer wichtigen Filmemacherin der Stummfilmzeit gemacht, die ebenfalls für ihre feministischen Themen bekannt ist: Rosa Porten.

Elena Baumeister: In "Die Filmprimadonna" liest Filmstar Ruth Breton Manuskripte, wird von Regisseuren umworben, kontrolliert ihr Image und ihre Szenen von Ideenfindung bis Fertigstellung des Films. Mich beeindruckt an diesem Film, wie die Diva eine andere Version ihrer selbst darstellt. Dieses Spiel mit den Grenzen von Fiktion, Starsystem und Kino würde ich mir auch unter Palmen noch gerne anschauen.

Wir danken Ihnen für die interessanten Einblicke und wünschen Ihnen für die Asta-Nielsen-Retrospektive im Herbst 2022 gutes Gelingen. 
Das Interview führte Frank Hoyer. 
 

Linktipps
Webseite Filmmuseum Potsdam 
Facebook Filmmuseum Potsdam 
Wikipedia Asta Nielsen 
Filmportal Asta Nielsen 
IMDB Asta Nielsen
 

DVD- und Online-Tipps
Edition Filmmuseum: Vier Filme mit Asta Nielsen
Edition Filmmuseum: "Hamlet" & "Die Filmprimadonna" 
Frühe dänische Filme auf dem Onlineportal www.stumfilm.dk

Buchtipps
Barbara Beuys: "Asta Nielsen. Filmgenie und Neue Frau"
Asta Nielsen: "Die schweigende Muse"

Presseschau
Deutschlandfunk
NDR

Bildnachweise: Stummfilm Magazin (das obere Bild zeigt den Stern für Asta Nielsen auf dem Potsdamer Platz in Berlin), Insel Verlag (Mitte Buchcover), Edition Filmmuseum (unten DVD-Cover)

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