100 Jahre "Das indische Grabmal": Interview mit Hans-Michael Bock

Joe May, der Produzent und Regisseur des seinerzeit erfolgreichen Zweiteilers "Das indische Grabmal", war in der Weimarer Republik einer der bedeutensten Filmschaffenden.

Heute steht er im Schatten von Regiegrößen wie Fritz Lang und Georg Wilhelm Pabst. Anlässlich des 100. Jahrestages der Uraufführung des opulenten Ausstattungsfilms am 22. Oktober 1921 hat Stummfilm Magazin mit Hans-Michael Bock von CineGraph und cinefest gesprochen. Die Filmerbe-Einrichtung und dessen Festival haben sich schon wiederholt ausführlich mit Joe May und seinen Werken auseinandergesetzt, in den Jahren 1990 und 2018.

Woran könnte es liegen, dass Joe May heute weniger bekannt ist und weniger mit der Glanzzeit des Weimarer Kino verbunden wird als einige andere seiner Kollegen, etwa Fritz Lang, G. W. Pabst oder Ernst Lubitsch?

Eigentlich ist die Antwort ganz einfach: Man schaue nur in den beiden "Grundsteinen" der Beschäftigung mit deutscher Filmgeschichte nach, die ab den 1950ern den "Kanon" der "wichtigen" Filme geprägt haben: In Lotte Eisners "Die dämonische Leinwand" wird Joe May als "geschickter Routinier" abgetan, die junge Dame steckte jedoch, als "Veritas Vincit", "Die Herrin Der Welt" und "Das indische Grabmal" herauskamen, tief in ihren archäologischen Studien griechischer Vasenbilder und interessierte sich kaum für das Kino als Unterhaltungsmedium. Ähnlich Siegfried Kracauer, der "Veritas Vincit" in "From Caligari to Hitler" eine "gigantic nonety" nennt, er hat den Film wie auch die anderen frühen Werke wohl nie gesehen. Der erste May-Film, den Kracauer für die Frankfurter Zeitung besprochen hat, war "Asphalt" im Jahr 1929, also nahezu zehn Jahre nach den großen Mehrteilern – so nachzulesen in den gesammelten "Kleinen Schriften zum Film", die übrigens bedeutend interessanter sind als sein "Caligari"-Buch, das 1947 im fernen New York entstand. Für beide Filmtheoretiker war der sogenannte "Publikumsfilm", also das, was sich die meisten Leute anschauten und was für die Zeitstimmung wirklich bedeutend war, beim Verfassen ihrer Bücher höchst uninteressant. Die Mißachtung von Joe Mays Bedeutung setzt sich heute weiter fort: Weder "Veritas Vincit" noch die erhaltenen Teile von "Die Herrin Der Welt" sind restauriert worden. Das Geld wurde ja unter anderem für den "OTTO"-Film oder die vierte/fünfte Restaurierung von "Metropolis" gebraucht.

"Das indische Grabmal" besticht heute vor allem durch seine aufwändige Ausstattung, die den Vergleich mit Hollywood-Produktionen aus der gleichen Zeit nicht scheuen muss. Was ist über die Produktionsgeschichte bekannt?

Das ist ein weiterer blinder Fleck bei der Beschäftigung mit dem deutschen Stummfilm. Da ist ständig nur von Tempelhof und Babelsberg die Rede, wo die Ufa ihre Atelier-Anlagen hatten. Weniger bekannt ist, dass in Weißensee am anderen Ende Berlins ebenfalls eine – wenn auch kleinere – Filmstadt mit einer Ansammlung von Ateliers existiert hat, wo die Gebäude des ehemaligen Vitascope-, dann May-Ateliers immer noch stehen, allerdings im Gegensatz zum "Lixie-Atelier" um die Ecke, in dem unter anderem "Das Cabinet des Dr. Caligari" entstand. Das wurde schnell verdrängt, doch jetzt bemühen sich einige Lokal-Historiker, an diese Tradition zu erinnern. So wurde auch ein naher Platz nach Joe May benannt. Und zusätzlich zum May-Atelier in Weißensee, ein Doppel-Glashaus mit Büros und Werkstätten, erwarb der "Mogul" Joe May 1919, draußen vor der Stadt bei Erkner ein Grundstück am See, das er vom Architekten Martin Jacoby-Boy zu einem Freigelände mit Wohnbaracken, Werkstätten und ziemlich massiven Dekorationen ausbauen ließ. Zunächst für den Achtteiler "Die Herrin der Welt", den er unter seiner Gesamtleitung von verschiedenen Regisseuren seines "Stalls", darunter ein junger Mann namens Fritz Lang, herstellen ließ. Für "Das indische Grabmal" wurden dann noch einmal am Wasser Bauten der Tempel in Originalgröße errichtet. Auch der Action-Spezialist Harry Piel nutzte die Mischung aus, Wald und sandiger "Wüste" für einige seiner Filme.

Fritz Lang soll ja nicht sehr begeistert gewesen sein, dass er nicht Regie führen durfte, obwohl er am Drehbuch von "Das indische Grabmal" maßgeblich beteiligt gewesen war ... 

Aber das ist vom Standpunkt des Produzenten, eben Joe May, sehr verständlich. Für das von Thea von Harbou mit Fritz Lang, von 1922 bis 1933 ein Ehepaar, entworfene Drehbuch, eine Mixtur aus exotischen Elementen, leichten Horrorszenen und indischer Mystik, war ja der Kapitalaufwand wie Bleistifte und Papier relativ übersichtlich. Bei der Herstellung des Zweiteilers mit den Großbauten, Menschenmengen, Elefantenherden etc. ging es um ganz andere Summen. Und da wollte May wohl kein Risiko eingehen und seiner, vom ihm sonst geförderten Nachwuchskraft Lang nicht die Regie übergeben. Der wechselte dann beleidigt zur Decla. Und noch eine Randnotiz zu Thea von Harbou: In den 1930er lebte sie einige Zeit mit einem indischen Yoghi zusammen.

Joe May und seine Frau mussten 1933 vor den Nazis flüchten. Wie war ihr weiterer Lebensweg?

May, der in den letzten Jahren der Weimarer Republik neben seinen späten Meisterwerken "Heimkehr" und "Asphalt" einige der ersten Tonfilme der Ufa inszeniert oder produziert hatte, drehte 1930/31 seine wunderbare Komödie "Ihre Majestät die Liebe" auch in französischer Version. Sein Musikfilm "Ein Lied für Dich" mit dem populären Tenor Jan Kiepura und Jenny Jugo hatte dann im April 1934 in Berlin die Premiere. Danach drehte er noch in London und Paris, ehe er sich mit seiner Frau Mia May am 29. November 1933 in Cherbourg nach New York einschiffte. Im folgenden Jahr ist der von Erich Pommer produzierte Fox-Film "Music In The Air" der erste Hollywood-Film, der unter maßgeblicher Beteiligung von Emigranten aus Nazi-Deutschland, unter anderem Billy Wilder und Robert Liebmann, entstand. Der Film erwies sich jedoch als Flop. Erst 1937 kann er wieder Regie führen und drehte mit dem Gerichtsmelodram "Confession" ein zum Teil bildgetreues Remake von Willi Forsts "Mazurka" von 1935. Danach drehte er für Universal einige Hororfilme wie etwa "The Invisible Man Returns" , bei denen er unter anderem mit Kurt Siodmak zusammenarbeitete. Er konnte sich jedoch, wie einige andere Exilanten, nicht an das Studiosystem Hollywoods gewöhnen. Die Karriere des in Berlin "mächtigen" Joe May neigte sich dem Ende zu. Sein letzter Kinofilm war die Kriegskomödie "Johnny Doesn´t Live Here Anymore" von 1943/44. Danach inszenierte er 1948 noch zwei kurze Pilotfilme für eine TV-Serie, die jedoch nicht gesendet wurden. Im Frühjahr 1949 eröffnete Joe mit seiner Frau Mia May, die ihre eigene Filmkarriere nach dem Selbstmord ihrer Tochter Eva May im Herbst 1924 aufgegeben hatte, in Los Angeles mit finanzieller Unterstützung von Freunden das Wiener Restaurant "The Blue Danube", das jedoch nach wenigen Wochen schließen musste. Danach waren die beiden auf Wohltaten von Kollegen angewiesen. Während Joe May 1954 starb, lebte Mia noch bis 1980 in Hollywood. Ein typisches Beispiel für die am Studiosystem gescheiterten Karrieren deutscher Exilanten.

Und was ist aus dem Studiokomplex in Woltersdorf in der Nähe von Berlin geworden?

Da existierten um 1990 im Wald von Woltersdorf noch einige der alten Baracken, in denen zu DDR-Zeiten wohl ein Altersheim untergebracht war. Und man konnte hier und da im märkischen Sand größere Bruchstücke der alten Tempeldekoration finden.

Können Sie uns zum Schluss noch einen Ausblick auf das kommende cinefest vom 12. bis 21. November 2021 und den angeschlossenen Filmkongress geben?

Das Thema für das cinefest und den Kongress im November, die nach den Erfahrungen des letzten Jahres "hybrid" stattfinden wird, lautet "Westwärts. Osteuropäische Filmschaffende in Westeuropa". Dabei werden wir die inzwischen wohlbekannten Karrieren von Exilanten wie Billy Wilder und andere außer Acht lassen – mit denen haben wir uns in den letzten Jahrzehnten immer wieder beschäftigt – und wenden uns einigen Filmschaffenden zum Beispiel aus dem Baltikum und der Ukraine zu, deren Karrieren zwischen der "Russischen Revolution" und der "Samtenen Revolution" 1989/90 zum Teil bizarre Wendungen genommen haben. Manche kamen wegen der politischen Umbrüche nach Westen, andere weil sie sich bessere Berufschancen versprachen. Und dann existiert da noch die Nazi-Zeit als entscheidender Faktor. Manche der Osteuropäer wurden weiter vertrieben, andere ließen sich auf das Regime ein, drehten propagandistische Filme – oder auch nur Unterhaltung – und wurden anschließend als Kollaborateure boykottiert.

Wir danken Ihnen sehr für die spannenden Einblicke und wünschen Ihnen gutes Gelingen für das kommende Cinefest.

Das Interview führte Frank Hoyer.
Bildnachweis: María José Rosales Robles

Linktipps und weiterführende Literatur:
CineGraph und cinefest 
Initiative "100 Jahre Stummfilm-Klassiker der Weimarer Republik" 
Wikipedia "Das indische Grabmal" (1921) 
Wikipedia Joe May 
Cinefest-Blu-ray-Edition "Das indische Grabmal" (Link zu Amazon)"
Berliner Film-Ateliers (CineGraph) 
Filmstadt Weißensee: Projekt Caligari-Platz
CineGraph Buch: Filmpionier und Mogul. Das Imperium des Joe May
CineGraph Buch: Joe May. Regisseur und Produzent 
cinefest-Katalog: Meister des Weimarer Kinos – Joe May und das wandernde Bild

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