"100 Facts about Babelsberg": Interview mit Autor Sebastian Stielke

Im be.bra Verlag ist aktuell das vom Filmmuseum Potsdam herausgegebene Buch „100 Facts about Babelsberg“ erschienen.

Autor Sebastian Stielke schlägt darin den Bogen vom Beginn Babelsbergs und dem ersten Glasatelier 1911 in Neubabelsberg über die Ufa und DEFA zum heutigen Filmstudio und der Vielzahl an Institutionen in der es heute umgebenden Medienstadt Babelsberg. Auch ein Ausblick auf die zukünftige Ausrichtung wird in dem 240 Seiten starken Werk gegeben. Stummfilm Magazin hat sich mit dem Autor über sein Buch und das legendäre Filmstudio unterhalten:

Der Name Babelsberg hat einen ganz besonderen Nimbus, und das nicht nur in Cineastenkreisen? Worauf gründet sich der legendäre, weltweite Ruf des Filmstudios?

Zunächst einmal ist festzuhalten, dass es sich beim Studio Babelsberg um das älteste Großatelier-Filmstudio der Welt handelt. Es ist der größte zusammenhängende Studiokomplex in Europa und verfügt über 21 Studiohallen, darunter eine, die nahezu doppelt so groß ist, als die größte Halle in Hollywood. Damit haben wir mal so die Superlativen abgehandelt.

Ideell gesehen ist es ein Mythos: Bereits in der Stummfilmzeit entstehen hier bahnbrechende und filmhistorisch wichtige Filme, ob "Der letzte Mann" und "Die Nibelungen" oder "Metropolis" und "Frau im Mond". Aus Babelsberg stammen Beiträge zum "expresssionistischen Film", zum ersten seriellen Erzählen, Babelsberg ist Revue-Mekka und Ort zahlreicher Erfindungen in den technischen Abteilungen. Viele weltberühmte Leute, von den 1910er Jahren bis heute, haben hier gearbeitet, Babelsberg ist ein "siebter Himmel" für Filmemacher. Und zu der Atmosphäre vor Ort trägt natürlich die Architektur der Filmstudiobauten bei: Auch heute wird noch in den historischen, aber technisch auf dem neuesten Stand gebrachten Hallen gedreht: ob in der sagenumwobenen Marlene-Dietrich-Halle (1926), im berühmten „Tonkreuz“ (1929) oder in modernen Studios im Fernsehzentrum oder fx.Center.

Und rein infrastrukturell: Babelsberg verfügt zudem über alle wichtigen Kernkompetenzen der Gewerke – von Tischlern über Malermeistern und Metallbauern bis zu Stuckateuren und Bildhauern. Ein Kulissenbau-Traum für jede Produktion. Das alles ist gepaart mit modernen SFX-/VFX-Möglichkeiten und neuen LED-Techniken, die übrigens gerade für die Netflix-Serie "1899" eingesetzt werden. Vom Kulissenbau bis zur Postproduktion ist fast alles in der Medienstadt Babelsberg zu finden. Ein Traum für Produktionen.

Welche „Facts“ haben Sie bei der Recherche zu Ihrem Buch besonders erstaunt oder bewegt?

Dass der Countdown und die "entfesselte Kamera" Erfindungen aus Babelsberg sind, war mir bekannt. Dass aber auch die NASA ersteres später dem Regisseur Fritz Lang persönlich bestätigt hat, war mir neu. Dass der kuriose Übergang vom Stumm- zum Tonfilm dann doch auch ein eng mit Babelsberg verknüpftes Thema ist. Dass in Babelsberg der größte Drucker der Welt steht, hat mich erstaunt. Dass die DEFA in den 1950er Jahren hier bereits das Stereolichttonverfahren entwickelt hat, bevor die Firma Dolby erst rund zwanzig Jahre später damit daherkam. Dass Loriots Film "Pappa ante Portas" hier entstand. Dass die Themenvielfalt so groß ist. Und immer wieder: Wie viele namhaften Schauspieler, Regisseure & Co. hier gearbeitet haben.

Ihr Buch lebt auch von der reichen Bebilderung. Was gibt es zu sehen?

Vor allem "Blicke hinter die Kulissen". Und zwar im engeren Sinne wirklich viele so genannte Werkfotos, die während der Dreharbeiten entstanden sind. Wir sehen beispielsweise Star-Regisseur Friedrich Wilhelm Murnau bei der Arbeit, ebenso den jungen Alfred Hitchcock, der ja in Babelsberg lernte. Es sind Baupläne zu sehen. Man kann auch viele Kulissen entdecken, die dem Zuschauer fremde Länder, Städte, Dörfer, Burgen und Wälder "vorgaukeln" und hier sieht man es, hier wird es "verraten", bei älteren Produktion ebenso wie bei den heutigen großen internationalen Koproduktionen. Im weiteren Sinne sind es auch Einblicke hinter die Kulissen zahlreicher Institutionen, die in der "Medienstadt Babelsberg", also dem Areal rund um das Filmstudio, ansässig sind und in den Unterschiedlichsten Bereichen der Film-, Fernseh- und Medienbranche agieren.

Hauptberuflich sind Sie als Schauspieler bei Film, Fernsehen und Theater tätig. Was hat Sie veranlasst, sich mit Babelsberg zu befassen und das Buch zu verfassen?

Seit meinem Studium an der Filmuniversität Babelsberg "Konrad Wolf" bin ich mit Babelsberg verbunden und habe unterschiedlichste Erlebnisse in und um das Filmstudio. Es begleitet mich seit Jahren. Babelsberg steht für so vieles: Tradition und Innovation, Handwerk und Forschung, künstlerischer und technischer Fortschritt. Und das zu allen Jahrzehnten, ob unter der Deutschen Bioscop, der Ufa, der DEFA oder eben heute. Babelsberg bedient viele Genres, von hier stammen Literaturverfilmungen, Western, Musikfilme, Science-Fiction, Roadmovies, Märchen, deutsche wie internationale Kinofilme und hochwertige Serien wie zur Zeit "Babylon Berlin", "Dark" und "1899". Leider merke ich, dass viele, gerade jüngere Leute, die nicht direkt mit der Filmbranche zu tun haben, Babelsberg seltener oder nicht richtig kennen. Dabei haben wir in Deutschland mit Babelsberg diesen einzigartigen Standort, um den wir weltweit beneidet werden. Die Aufmerksamkeit und das Wissen um die Bedeutung Babelsbergs für die internationale Filmwelt ist meist bei ausländischen Gästen und Filmemachern höher, als es in unserer eigenen Bevölkerung verankert ist.

Die Coronakrise ist für uns alle eine Herausforderung. Was ist Ihr persönliches Rezept, um gut durch die Pandemie zu kommen?

Optimismus und Flexibilität. Natürlich wird das beides immer schwieriger und mühsamer, aber da müssen wir uns immer wieder selbst motivieren. Natürlich gingen auch mir, wie allen in der Branche, Aufträge verloren. Aber so verrückt es sich anhört, anders hätte ich die Zeit für die Recherche, die geführten Interviews, die Besuche von Archiven, das Schreiben usw. für das Buch nicht gehabt. Die „C-Phase“ war hier also auch „Chance“. Und hat etwas neues, wahnsinnig produktives und nachhaltiges hervorgebracht: „100 Facts about Babelsberg“.

Wir danken Ihnen für die interessanten Einblicke und wünschen weiterhin gutes Gelingen.
Das Interview führte Frank Hoyer.
Fotonachweise: Filmmuseum Potsdam/be.bra verlag

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Verlagsinformation 
Filmmuseum Potsdam 
Studio Babelsberg

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